Waren es wirklich viele, wie Pfarrer Hammann in der Rückbesinnung meint, die den Gewaltausbruch im November 1938 gegen unschuldige Mitbürger so kritisch gesehen haben? Gibt es gar verlässliche Nachweise offener Ablehnung oder mit Risiken verbundener Hilfeleistung – bei uns hier in Rotenburg oder Bebra?

In vielen Gesprächen mit damals vor Ort Lebenden und unmittelbaren Zeitzeugen klingt durch, dass man Abscheu vor dem konkret dargebotenen Vandalismus empfand. Immer wieder begegnen einem im Gespräch mit den damals jugendlichen Zeitzeugen Äußerungen von deren Eltern wie „Damit haben wir nichts zu tun!“ Oder: „Du bleibst im Haus, so was schaut man sich nicht an!“ Es ist zu wünschen, dass diese Reaktionen keine Ausnahmen waren.

Tatsächlich sind Verhaltensweisen von einzelnen Personen konkret dokumentiert, die zumindest den Betreffenden zur Ehre gereichen. Vielfach genannt wird in diesem Zusammenhang Eleonore von Trott, Mutter des 1944 hingerichteten Adam von Trott, die sich am Tag nach dem Pogrom von Imshausen nach Bebra fahren ließ, um den wenigen noch verbliebenen Juden ihr Mitgefühl auszusprechen.

In Rotenburg war es der Leiter des Schülerheims der Jakob-Grimm-Schule, Dr. Martin Engels, der sich solidarisch mit den jüdischen Opfern zeigte. Er ließ Brote schmieren, packte diese in seinen Rucksack, setzte sich – begleitet von seinem Sohn – auf's Fahrrad und versorgte damit in der Brotgasse ansässige jüdische Familien. Und nicht nur dies. Fanny Linz, die mit der Bahn aus Rotenburg flüchtete, erlebte in Kassel, dass besagter Dr. Engels ihr gefolgt war, um sie dort mit Nahrungsmitteln zu versorgen. „Das war wahrhaftig ein Engel!“ Solches hörte Fanny Linz` Tochter Sophie später von ihrer Mutter.


  

Dr. Martin Engels, von 1933 bis 1939 Leiter des Schülerheims der Jakob-Grimm-Schule in Rotenburg. Im November 1938 zeigte er sich solidarisch mit den jüdischen Opfern.

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Kristallnacht Rotenburg