In dem von Sohn Ludwig nach dem Krieg eingereichten Entschädigungsantrag heißt es u. a.:
Am 8. November mussten meine Eltern und ich aus rassischen Gruenden von
unserer Heimatstadt Rotenburg nach Krefeld fluechten. In der folgenden
Nacht, dem bekannten Pogromtage des 9./10. November 1938 wurde unsere
gesamte Wohnungs- und Geschaeftseinrichtung zerstoert und das Warenlager
gepluendert.In der Folgezeit erhielt mein Vater in Krefeld von der Polizei
in Rotenburg die Aufforderung, zurueck zu kommen, um das Haus reparieren zu
lassen, damit das Stadtbild nicht laenger „geschaendet“ sei.
Meine Schwester, Margarethe Goldschmidt, geborene Brandes, begleitete
meinen Vater nach Rotenburg, und als sie das Ausmass der Zerstoerung sahen,
liessen sie mich ebenfalls nach Rotenburg kommen, damit ich bei den
Aufraeumungsarbeiten helfen koenne.
Ich gebe nachstehend einen Augenzeugenbericht des entstandenen Schadens:
Geschaeftseinrichtung und Warenlager: Unser Geschaeftslokal war von
erheblichem Ausmasse und 3 Waende waren mit Regalen versehen. Die Bedienung
der Kundschaft erfolgte an 6 Ladentischen. Die Damen- und Herrenkonfektion
war in vier grossen Glasschraenken aufbewahrt. Zu der sonstigen
Geschaeftseinrichtung gehoerte auch eine wertvolle Registrierkasse. Die
Manufakturwaren und Kurzwaren waren in Regalen und unter den Ladentischen
aufbewahrt. Zu der Geschaeftseinrichtung gehoerten auch ein Schreibtisch
nebst Schreibtischsessel.
Vor der Verfolgungszeit hatten wir immer ein Warenlager im Werte von
RM 10.-12.000,—, wahrscheinlich sogar bis RM 15.000,—. Unter dem Einflüsse
des Judenboykotts wurde unser Warenlager kleiner gehalten, und im Jahre
1938 war das Warenlager nur mehr ein Bruchteil des frueheren Wertes, da
meine Eltern und ich vom Kapital leben mussten Aber ich kann mit
Bestimmtheit versichern, dass das Warenlager z. Zt. der Zerstoerung doch
noch etwa RM 3.000,— wert war. Ich wohnte ja mit meinen Eltern zusammen und
kann daher den Umfang des Warenlagers im November 1938 noch mit einiger
Bestimmtheit beurteilen.
Wir wurden nachher in das Schlossgebaeude in Rotenburg bestellt, wo noch
brauchbare Gegenstaende gesammelt worden waren, die von juedischen Familien
herruehrten. Nach meiner besten Erinnerung konnten wir nur 2 Steppdecken
von unserem frueheren Eigentum feststellen, die uns ausgehaendigt wurden.
Da keine brauchbare Bettstelle mehr in unserem Anwesen vorhanden war,
mussten wir waehrend unseres voruebergehenden Aufenthaltes in Rotenburg bei
Bekannten in Bebra schlafen.
Nachdem wir einigermassen aufgeraeumt und die Truemmer entfernt hatten,
sind wir nach Krefeld zurueckgekehrt, wo wir bei Verwandten bis zu unserer
Auswanderung wohnten.
Meine Eltern sind dann am 9. März 1939 von Hamburg per Schiff nach
Suedafrika ausgewandert.
Ludwig
Brandes, geb.
27. Dez. 1906
(Foto links)
Max Moses
Brandes, geb.
23. Febr. 1873,
zusammnen
mit seinem
Sohn Ludwig
(Foto rechts)
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