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© Hassia Judaica
    Am 12. Dezember 1955 schrieb Selma Rosenbaum an Rechtsanwalt
   Klose, Kassel-Oberzwehren, u. a.:
(...) Unsere Ausreise aus Kassel erfolgte am 15. August 1940. Wir fuhren nach Berlin und mussten dortselbst 10 Tage warten, bis wir die Durchreise durch Russland genehmigt bekamen. Nach dem Eintreffen der Genehmigung sind wir nach Moskau weitergefahren, woselbst wir wieder etwa 5 Tage Aufenthalt hatten. Nach deren Ablauf sind wir mit dem Sibirienexpress 8 Tage und 8 Nächte gefahren, bis wir in der Mandschurei ankamen. Von da sind wir in einem Eisenbahnzug weitergefahren. Nach einem weiteren Tage bekam mein Ehemann Schmerzen in der Herzgegend. Die lange Bahnfahrt hatte ihm ausserordentlich zugesetzt. Obwohl wir in Deutschland fuer Schlafwagenplaetze bezahlt hatten, erhielten wir keine solchen Plaetze. Ein Herr,der sah, wie schwer mein Ehemann litt, stellte ihm sein Bett zur Verfuegung und empfahl mir, kalte Umschlaege aufs Herz zu wachen, was ich auch tat. Im Zuge befand sich kein Arzt, den wir hinzuziehen konnten. An der japanischen Grenze setzten weitere Schwierigkeiten ein. Von dem Vertreter der Hapag in Hannover - ich glaube, er hiess Winter - hatten wir eine Bescheinigung erhalten,  ausweislich deren Schiffsplaetze belegt seien. Diese Bescheinigung wurde aber nicht anerkannt und es wurde uns  erklaert, dass wir entweder einen Buergen stellen - offenbar dafuer, dass wir das Land wieder verlassen wuerden - oder umkehren muessten. Auf ein Telegranm erhielten wir dann von dem Hilfsverein in Kobe, Japan, Bescheid, dass der Hilfsverein fuer alles aufkomme. Durch die unsaeglichen Reisestrapazen und die Aufregung ueber die Verzoegerung und die Moeglichkeit der Einreiseverweigerung verschlimmerte sich der Zustand meines Ehemannes. Wir zogen einen japanischen Arzt hinzu, mit dem die Verstaendigung ausserordentlich schwierig war und dessen Namen ich nicht mehr weiss. Mein Ehemann musste das Bett hueten, der Arzt gab ihm Tabletten - deren Bezeichnung ich auch damals nicht verstand - und verordnete Umschlaege aufs Herz. Nach  etwa 2 Wochen fuhren wir dann nach Yokohama weiter. Dort konnten wir alsdann unsere Schiffsreise nach den Vereinigten Staaten antreten und kamen am 8.Oktober 1940 in Seattle, Staat Washington, an. Von da bis an die Ostkueste in New York ist die Entfernung etwa 3000 Meilen.  Wir waren wieder etwa 5 Tage unterwegs und kamen ungefaehr am 15. Oktober 1940 in New York an.

Mein Ehemann hat  sich von den ausgestandenen Leiden nicht mehr erholen koennen und ist fast genau ein Jahr nach unserer Ankunft, naemlich am 25.Oktober 1941 in New York verstorben. Er war in Deutschland, abgesehen von den ueblichen Erkaeltungen niemals ernstlich krank. Waehrend unserer Baumbacher Zeit war Herr Dr. Hieronymus aus Rotenburg an der Fulda unser Hausarzt. Mein Ehemann wurde in New York lediglich von Dr. Eschwege behandelt und litt an keinen anderen Leiden, sondern lediglich an dem Herzleiden, das er sich unterwegs zugezogen hat.Eine erneute Bescheinigung des Herrn Dr. Eschwege ist beigefuegt.
Ich nehme an, sehr geehrter Herr Dr. Klose, dass ich hiermit die Verfuegung des Herrn Regierungspraesidenten ausfuehrlich beantwortet habe. Ich fuege eine Abschrift dieses Schreibens bei, falls Sie beabsichtigen sollten, es in seiner gegenwaertigen Form an die Entschaedigungsbehoerde weiterzugeben.
Ich waere Ihnen sehr dankbar, wenn Sie sich fuer hoechstmoegliche Beschleunigung einsetzen wuerden, da ich die Entschaedigung dringendst benoetige.
Hochachtungsvoll!  (gez.) Selma Rosenbaum
  
Selma Rosenbaum geb. Neuhaus