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© Hassia Judaica
Wie ich schon früher sagte, wurde meine schulische Erziehung in Wertsville, New Jersey, fortgesetzt. Ich war fast neun Jahre alt, als ich hier mit der Schule begann, aber wegen meiner mangelnden Fähigkeiten im Englischen, wurde ich in die 1. Klasse zurückgestuft. Nach einigen Monaten hatte ich die englische Sprache gut kapiert. Als ich im Frühjahr 1935 in eine Schule im Bereich New York City überwechselte, setzten sie mich in die Klasse 3B, gleichbedeutend mit der zweiten Hälfte der 3. Jahrgangsstufe. Ich besuchte die Grundschule P. S. 23 in der 165. Straße zwischen Union und Tinton Avenues. Meine Cousine Bunny, die gerade sechs geworden war, machte einen großen Aufstand und bestand darauf, dass sie auch in die Schule gehen wolle. Ich erinnere mich, wie ich mit ihr und meiner Tante Jenny zur Schule marschierte und als Dolmetscher fungierte, als Bunny aufgenommen wurde. Die Qualifikation der Lehrer an öffentlichen Schulen in New York war damals ziemlich gut, und ich war ein guter Schüler. Mr. Westphal, der Schulleiter, und Mrs. Lester, meine Lieblingslehrerin, sind mir in angenehmer Erinnerung geblieben. Diese Dame war nicht nur imstande, guten Unterricht zu geben, sie verlangte uns auch Respekt ab und wir liebten sie. Als besondere Vergünstigung pflegte sie uns manchmal aus Büchern vorzulesen, die sie als interessant für uns ansah. The Prince and the Pauper von Charles Dickens machte auf mich besonderen Eindruck.
Wie bereits im Vorigen erwähnt, nahm ich 1935 für über ein Jahr private Hebräischstunden bei Rabbi Weiser, ehe die Gemeinde Shaare Tefillah ihren eigenen Hebräischunterricht anbot. Den hatten wir am Sonntagmorgen und ein- oder zweimal nachmittags unter der Woche nach der Schule. Leider war die Qualität des Hebräischunterrichts weit davon entfernt, wie er hätte sein sollen. Dafür gab es natürlich eine Reihe von Gründen. In erster Linie verfügten unsere Eltern über das Bestreiten des täglich Notwendigen hinaus nur über sehr wenig Geld für qualifizierte Lehrer. Unsere Hebräischlehrer waren ebenso Flüchtlinge aus Deutschland und hatten äußerste Schwierigkeiten, in den Vereinigten Staaten Fuß zu fassen. Sie konnten sich nur auf deutsch mit uns verständigen. Wir aber redeten bereits englisch untereinander. Dadurch entstand eine Distanz zwischen Schüler und Lehrer. Es stand kein richtiger Rabbiner zur Verfügung, der das Unterrichtssystem koordinierte, und Jeschiwas, Talmudhochschulen, waren in jenen Jahren in unserem Umfeld so gut wie unbekannt. Ehe sich unsere Lebensverhältnisse nach dem Zweiten Weltkrieg verbesserten und Rabbiner auftraten, die sich wirklich um die religiöse Erziehung der Kinder kümmerten, gab es auf diesem Gebiet kaum Verbesserungen. Im Blick zurück muss ich gestehen, dass ich das Meiste hinsichtlich der religiösen Vorschriften und Gebräuche nicht im Unterricht lernte, sondern unmittelbar zu Hause.
Wie ich mich erinnere, gab es einen Mann in unserer Gemeinde, der diesen Zustand erkannte und etwas dagegen zu tun versuchte. Es war Mr. Herman Selig, von Beruf Uhrmacher. Er muss etwas bessere Kenntnisse vom Judentum gehabt haben als die anderen Mitglieder der Gemeinde. Er traf sich jeden Samstagnachmittag mit den Jungen und Mädchen und erläuterte Abschnitte aus dem Kizzur Schulchan Aruch. Das ist ein auf hebräisch verfasstes Buch, das in knapper, aber genauer Form die jüdischen Gesetze und Gebräuche sowie deren Herkunft erklärt. Obwohl Mr. Selig kein ausgebildeter Lehrer war, verdient er uneingeschränkte Anerkennung für seine Bemühungen in die richtige Richtung.

  
Public School 23, zwischen Union und Tinton Avenues in der Bronx. Hier verbrachte Isfried Neuhaus seine 6 Grundschuljahre.
(Das Foto von 2007 zeigt das heutige Schulgebäude)