Im Jahre 1935 lebten viele jüdische Familien in der
Bronx und es kamen in geringer Zahl jüdische
Flüchtlinge aus Deutschland nach hier. Meine
Großmutter begegnete einem älteren Herrn namens
Seligmann Bacharach, der aus dem Dorf Rhina kam, wo
sie beide aufgewachsen waren und zusammen die
gleiche jüdische Schule besucht hatten.
Bald nach unserem Umzug nach New York fingen
meine Leute an, sich nach einer Einrichtung umzusehen,
wo ich meinen Hebräischunterricht fortsetzen konnte,
der seit dem Verlassen von Baumbach völlig
unterbrochen war. Sie fanden jemanden namens Rabbi
Weiser, der in unserer Straße wohnte und aus der
Bukowina stammte; ich glaube, das ist jetzt in
Rumänien. Rabbi Weiser gab Jungen aus der Umgebung
Bar-Mitzwa-Unterricht. Ich ging ungefähr zweimal in der
Woche zu ihm, um Privatunterricht zu nehmen im
Hebräischlesen und im Übersetzen von einigen Gebeten
und Abschnitten aus der Thora. Es gab eine Reihe von
Synagogen in dem Gebiet, vom orthodoxen bis zum
Reformjudentum, aber ihre Gebetsgottesdienste
unterschieden sich stark von den vom Gesang und
anderen Gewohnheiten bestimmten Gottesdiensten der
hessischen Dorfjuden.
Als unsere Landsleute vermehrt in die Bronx kamen,
hielten unsere Leute eine Synagoge, mit der sie sich
besser identifizieren konnten, für unbedingt nötig. Mein
Großvater, Vater, Onkel, Herr Bacharach und einige
andere Neuankömmlinge taten sich mit Rabbi Weiser
zusammen und organisierten einen „deutschen“ Minjan
in seiner Wohnung. Diese Gruppierung dauerte nicht
sehr lange, weil die Vorstellungen und Gepflogenheiten
von Rabbi Weiser sehr verschieden von denen der
anderen Beteiligten waren. Es dauerte nicht lange, bis
Rabbi Weiser sich von der Gruppe trennte. Die
Sabbatgottesdienste wurden dann in unserem
Wohnzimmer abgehalten, während die Frauen im
Esszimmer beteten. Die Mitglieder der Gemeinde, die
sich Congregation Shaare Tefillah nannte, bestanden
darauf, uns für die Benutzung unserer Einrichtung zu
bezahlen. Meine Leute bekamen deshalb 50 Cent die
Woche als Miete. Mit der Zunahme der Verfolgung der
Juden in Deutschland vergrößerte sich die Mitgliederzahl
in der Congregation Shaare Tefillah. Die Synagoge
diente nicht nur als ein Ort für traditionellen
Gottesdienst, sondern auch als Treffpunkt für die
jüdischen Flüchtlinge. Dort konnten sie sich in ihrer
Muttersprache unterhalten und ihre Gedanken und
Erfahrungen austauschen, die mit ihrem mühevollen
Kampf zu tun hatten, sich eine neue Existenz
aufzubauen.
Wie man sich vorstellen kann, hatten die jüdischen
Flüchtlinge aus den kleinen Dörfern sehr wenig
materiellen Besitz. Das war für alle ein starkes Motiv,
eng zusammenzustehen und sich untereinander zu
helfen. Schon bald wurde unser bescheidenes Haus zu
klein, und die Gemeinde zog um in einen Raum im
Franklin Casino, einem Partyservice für Hochzeiten und
Bar Mitzwas. Mehrere Jahre später zog die Gemeinde in
den Saal von einem anderen Partyservice. Schließlich
landete sie im Kellergeschoss einer großen Synagoge
mit der Adresse 858 Macy Place, an der Ecke zur
Prospect Avenue.
Seligmann Bacharach, geb. 1863, aus Rhina,
wo er ein Schulkamerad von Isfrieds Großmutter
Sarah Katz geb. Nussbaum gewesen war. Auf
dem Foto sehen wir ihn mit Frau und Tochter in
Rhina.