Eine Zeitzeugin, damals 15-jährig, berichtete uns:
Die Frau Dietz war hochschwanger und hat in der Kristallnacht ihr Kind verloren - aufgrund der Aufregung
als so eine Horde ankam und alles kaputt schlug.
Das waren keine Baumbacher, das war die Rotenburger SA, die die Kristallnacht hier durchgeführt haben.
Die sind hier in der Nacht eingedrungen und haben alles kaputt geschlagen. Und beim Speier haben sie
auch davor gestanden. Und auf einmal hat einer gerufen: „Nein, nein, nein, da wohnen doch Christen
drinne.“ Das Haus war nämlich schon verkauft. „Hört uff, da wohnen Christen drinne.“ Da sind sie dann
abgezogen.
Noch während die Ausschreitungen gegen die jüdische Bevölkerung liefen - in Bebra bereits in der Nacht
vom 7. zum 8. November, in Rotenburg und Baumbach dann am 8. November 1938 - wurde Felix Neuhaus
zu der obigen Aussage gezwungen, die in der Ausgabe des Rotenburger Tageblatts vom 9. November
1938 als halbseitige Anzeige erschien.
Die antijüdischen Aktionen, eher verharmlosend als „Kristallnacht“ bekannt geworden, fanden reichsweit
bekanntlich erst in der Nacht vom 9. zum 10. November statt, in Nord-hessen jedoch in einer Reihe von Orten
bereits unmittelbar nach dem Attentat auf Ernst vom Rath, nicht erst nach dessen Ableben am 9.11.1938. Ob
es wirklich spontaner Volkszorn in unserer Region war - so die NS-Progaganda - oder ein geschickt
eingefädelter Probelauf - ist bis heute ein strittiger Punkt in der Zeitgeschichtsforschung.